Da gibt es ein neues Hotel. In Wien. Kein normales natürlich, ein Arthotel. Neu gebaut von Jean Nouvel, seines Zeichens Stararchitekt. Arthotel, das ist so etwas wie die Strafverschärfung von Designhotel. Ist grad ziemlich in.
Es steht am Donaukanal, der auch grad ziemlich in ist – Stichwort Gentrifizierung. Von außen ein etwas windschiefer, dunkler Glaskubus. Und von innen?
Schon an der Rezeption wähnt man sich in einer Aussegnungshalle. Alles schwarz, kaum Möbel, in der Mitte stehen ein paar schwarze Riesenvasen, passenderweise mit roten Nelken drin. Ein livrierter Bediensteter, passenderweise mit französischem Akzent, führt mich auf mein Zimmer, öffnet die Tür.
Alles grau. Wände, Boden, Badewanne, Waschbecken, Sitzecke. Der Boden reiner Beton, grau lackiert. Als Bettvorleger: eine Art Isomatte. Sagt der Page mit französischem Akzent: „Monsieur Nouvel at gemacht nur drei Farben Simmer. Schwarze. Weiße. Und Graue. Sie aben graues Simmer.“ Das ist nicht zu übersehen. Ganz im Gegensatz zum Kunstwerk, auf das er mich hinweist, an der Wand: „Ist ein Transkript von eine Video von eine Künstlerin.“ Aha. Aber wo? Nach längerem Suchen entdecke ich es: Mit weißer Kreide sind Sätze an die graue Wand geschrieben. Kryptisches.
Sagt der Page: „Es gibt keine Bilder an der Wand, weil Monsieur Nouvel at gesagt: Die Stadt ist das Bild.“ Spricht es und deutet auf grau lackierte Schiebeläden, die man vor der Glasfassade so zuziehen kann, dass ein Bild der Stadt vor dem Fenster entsteht: Je nach Vorliebe Hochformat, Querformat – mit Stephansdom oder mit Urania. Immerhin, ein schöner Einfall.
Ansonsten gilt hier das absolute Primat des Architekten. Lichtschalter: nur kniend auf dem Bett zu erreichen. Betonboden: nur mit den gummierten weißen Hotelschlappen gefahrlos betretbar. Denn die Wasserlachen, die gerne mal aus der praktischen, türlosen Walk-In-Dusche rinnen, werden auf dem Betonboden zur Schlitterfalle. Die kubistische Sitzecke: Sie ist ganz mit einem schweißträchtigen Gummi-Stoff bezogen.
Beim Frühstück in dem „Le Loft“ genannten Restaurant im 18. Stock zieht es den Blick unweigerlich an die Decke. Die ist voll mit aufgemaltem, gelben Herbstlaub und Vögeln, dazwischen sind runde Videoschirme eingelassen. Man sieht darauf einen Frauenmund in Nahaufname. Die Lippen öffnen und schließen sich: Speichel und Zahnstein en détail. Es ist ein Werk der Videokünstlerin Pipilotti Rist. Nichts gegen Pipilotti. Aber ihr Zahnstein beim Frühstück? Zurück im wohltuend grauen Zimmer meint die Begleitung vor der Isomatte: „Wie auf dem Campingplatz“. In der Schranktür steht der Preis fürs kleine Graue: 500 Euro. Fast geschenkt.