Ganz hinten in Reihe 26, ein Fensterplatz. Auf den zwei Sitzen daneben haben bereits zwei arabisch aussehende Männer Platz genommen. Als das Flugzeug zum Start anrollt, fasst sich der neben mir an die Schläfen, dann schaut er zum Fenster raus, bläst die Luft durch die Lippen und sagt etwas in seiner Sprache, das sich nicht nach Wohlbefinden anhört. „Fliegt er zum ersten Mal?“, frage ich seinen Freund, der vorher mit der türkischen Stewardess deutsch gesprochen hat. „Zum zweiten Mal“, antwortet der freundlich, „aber er hat keine Flugangst, sondern Schmerzen. Das ist eigentlich eine traurige Geschichte.“
Die zweieinhalb Flugstunden von Istanbul nach München vergehen nun mit dieser Geschichte. Der Mann mit den Schmerzen, Mustafa, und sein Begleiter Alaa arbeiten für die deutsche Botschaft in Bagdad. Alaa in der Verwaltung, Mustafa als einer von 90 Wächtern, die die Botschaft bewachen. Am Ostersonntag dieses Jahres sprengte sich ein Selbstmordattentäter in seiner Nähe in die Luft. Mustafa überlebte schwer verletzt, doch zwei seiner Schwestern, die um die Mittagszeit auf dem Weg zu ihm waren, wurden getötet, einer seiner Brüder ebenfalls schwer verletzt. Als Angestellter der deutschen Botschaft ist diese für Mustafas Behandlung zuständig. Zuerst schickten sie ihn nach Amman in Jordanien, doch dort konnten ihm die Ärzte nicht richtig helfen. Mustafa habe noch Bombensplitter im Körper, erklärt Alaa, sein linkes Auge liege seit der Explosion tiefer, er habe immer Schmerzen.
Nach längerem Hin und Her habe die Botschaft nun eingewilligt, dass er nach Ulm dürfe, um dort im Bundeswehrkrankenhaus operiert zu werden. „Ich muss immer bei ihm sein“, sagt Alaa, „um alles zu übersetzen.“ Obwohl es eine komplizierte Operation am Schädel ist, sind für die ganze Behandlungsreise nur 14 Tage eingeplant, auch Mustafas Visum läuft dann ab. Und falls es Komplikationen gibt? „Dann muss ich mich um die Verlängerung kümmern“, sagt Alaa. Er selbst hat eine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung, weil er wegen des Irak-Krieges nach Deutschland geflüchtet war. Vor einem Jahr hat er beschlossen, zurückzugehen, um beim Aufbau seines Landes zu helfen. Nun ist er aber desillusioniert: „Keiner traut dem anderen, es geht nur um Geld und Religion.“ Er erzähle seinen Nachbarn lieber nicht, dass er bei der deutschen Botschaft arbeite. „Ich habe einmal gewagt zu sagen, dass die Lautsprecher der neuen Moschee neben meiner Wohnung viel zu laut sind, da wurde ich als Ungläubiger beschimpft.“
Als wir aussteigen, nimmt Alaa ein Keyboard aus der Gepäckablage. „In München bin ich öfter aufgetreten, im Irak habe ich im ganzen Jahr nur einmal gespielt – was soll ich also dort damit?“ Bei der Einreise werden die zwei Iraker an der Passkontrolle ausgefragt, Alaa wiederholt geduldig Mustafas Geschichte in Kurzform. Klar, dass die beiden anschließend am Zoll auch noch ihre Koffer auspacken müssen.
Aus der S-Bahn schaut Mustafa mit großen Augen auf die Landschaft. Er sagt vorwurfsvoll etwas, was Alaa lachend übersetzt: „Warum hast du dieses Paradies verlassen?“