Das Wetter ist zu gut! Käme dieser Satz aus dem Mund eines Hoteliers, man würde ihn wohl von einer der schönen Kalkklippen ins Meer stoßen, hier an der Algarve – einer Region, die so gut wie ausschließlich vom Tourismus lebt. Aber den Satz hört man, jetzt, Anfang Oktober, immer wieder von Menschen, die breitkrempige Sonnenhüte tragen und schwere Stative mit Fernrohren durch die Mittagshitze schleppen. Es ist Birdwatching-Festival auf der Sagres-Halbinsel, dem südwestlichen Ende Europas. An vier Tagen kommen hier rund 1000 Naturliebhaber zusammen, aus Portugal und ganz Europa. Mehr als 200 geführte Touren werden angeboten, viele davon zur Vogelbeobachtung, aber auch zu Geologie, Archäologie und Botanik.
Das Wetter ist deshalb zu gut, weil bei 26 Grad, Sonne und – ganz untypisch für Sagres – kaum Wind, nur relativ wenige Greifvögel durch die Gegend segeln. Sie brauchen den Wind, um ihren Weg nach Afrika zu schaffen. Immerhin ein paar hübsche, weiße Zwergadler sind zu sehen, ein Mäusebussard, Turmfalken. „Normalerweise kommen hier an einem Oktobertag bis zu300 Greifvögel durch. Und man kann bis zu 15 verschiedene Arten sehen“, sagt Simon Wates, ein indianerhafter Mann mit sonnengegerbter Haut und langen Haaren unter der Baseballkappe.
Dass die Vögel heute auf sich warten lassen, nimmt Wates persönlich. Schließlich nennt er sich „Birdman Algarve“ und tatsächlich kennt sich kaum einer so gut aus wie der hier als Naturführer lebende Brite. „Zu uns kommen vor allem Jungvögel aus Nordeuropa, die den direkten Weg nach Gibraltar noch nicht kennen“, erzählt er. „Sie fliegen bis ans Kap, erschrecken vor dem Atlantik und drehen kurz um, bevor sie über Land bis Gibraltar weitersegeln.“ Deshalb eigne sich die Gegend im Herbst so gut zur Vogelbeobachtung. Eigentlich. Nun aber steht Wates mit 25 Naturtouristen in einem hübschen grünen Tal, das zum Figueira-Strand hinunterführt. Seltene Singvögel hüpfen durchs Gebüsch – aber am Himmel herrscht Flaute.
Die Region zwischen Sagres und Vila do Bispo, sie ist aber auch abgesehen von den Vögeln etwas Besonderes. Denn der Großteil ist ein Naturschutzgebiet, in dem es bis jetzt jene Bettenburgen nicht gibt, mit denen etwas weiter östlich, in Portimão oder Albufeira, die Küsten zugekleistert wurden. Hier dominiert die gelbfelsige Steilküste, die immer wieder von kleinen, aber äußerst schönen Sandstränden durchbrochen wird. Im Herbst sind die so gut wie leer, obwohl das Wasser noch an die 20 Grad warm ist. Oben, auf den Felsplateaus, herrscht eine macchiaartige Vegetation vor, die nur auf den ersten Blick karg ist: Mehr als 700 Pflanzenarten gebe es im Naturschutzgebiet, sagt Ana Carla Cabrita.
Die sympathische Enddreißigerin ist hier geboren und bietet geführte Wanderungen über die Küstenpfade wie etwa die Rota Vicentina an, nicht nur zur Zeit des Festivals. Sie strahlt, wenn sie endemische Pflanzen wie Astragalus Vicentinus entdeckt, die selbst jetzt im Herbst noch rosa blüht und an die trockenen, windigen Verhältnisse hier optimal angepasst ist. Aber sie hat noch mehr zu sagen. „Wir müssen bekannt machen, welchen Naturschatz wir hier haben, sonst wird das zugebaut wie in Portimão.“ Der Druck auf das Naturschutzgebiet wachse. „Wir brauchen hier nicht noch mehr Badegäste, sondern hochwertigen Natur- und Kulturtourismus.“
Cabrita geht voran, auf einem schmalen Pfad durch bunte Macchia hindurch, zu einem Aussichtspunkt, der einem wirklich den Atem verschlägt. An der Steilküste überlagern sich hier tiefrote, gelbe und lila Gesteinsschichten wie in einer überdimensionalen Sahnetorte, gesäumt von aus dem Meer wachsenden, spitzen Bergen. Im Hintergrund sieht man den Leuchtturm des Cabo São Vicente. Eine geologische Stelle von internationaler Bedeutung sei das, sagt Cabrita, weil die Erdgeschichte hier offen zu Tage tritt. Wenige Hundert Meter weiter südlich liegt zwischen all diesen Gesteinsformationen der traumhafte Telheiro-Strand, nur zu Fuß zugänglich. Hier habe die Gemeindeverwaltung diesen Sommer damit begonnen, eine breite Fahrstraße anzulegen, mitten durch das sensible Gebiet, erzählt Cabrita. „Durch eine Eingabe konnte ich verhindern, dass weitergebaut wird – mal sehen, wie lange.“
Der Bürgermeister von Vila do Bispo scheint aber den Wert der Natur hier verstanden zu haben. „Der Naturtourismus hilft uns, die Saison zu verlängern und er bringt uns eine ganz andere Art von Gästen“, sagt Adelino Soares in seinem schicken, holzgetäfelten Büro. Im Herbst habe man jetzt schon mehr Übernachtungen im Vergleich zu den meisten anderen Gemeinden der Algarve. Surfer, Rentner und nun immer mehr Naturtouristen. Die Gemeinde plane nun auch Besucher-Pfade zur Geologie und zu den steinzeitlichen Menhiren, von denen es hier besonders viele gibt. Das Birdwatching -Festival hat den nationalen Preis für touristische Innovation 2015 gewonnen und damit große Konkurrenten wie Porto oder Lissabon ausgestochen, worauf der Bürgermeister stolz hinweist.
Dabei gehen die Idee und das gut organisierte Programm auf das Konto der beiden Naturschutzverbände Almargem und Spea. Die erste hat die Via Algarviana konzipiert, einen 300 Kilometer langen Wanderweg, um das schöne Hinterland der Algarve bekannter zu machen. Der zweite ist der portugiesische Vogelschutzbund. „Wir haben schon im zweiten Jahr das Programm um Angebote für Familien und nicht ganz so Vogelbegeisterte erweitert“, sagt Alexandra Lopes von Spea, die das Festival organisiert. „Das ist sehr gut angekommen.“ Santos sitzt im Hauptquartier des Festivals, der mittelalterlichen Festung Beliche, die direkt auf die Klippe gebaut wurde und eine tolle Aussicht auf die Steilküste bietet. „Noch vor zehn Jahren wäre so etwas hier nicht möglich gewesen, sagt Lopes, aber das Umweltbewusstsein der Portugiesen ist gewachsen.“ Viele der geführten Touren sind kostenlos, weil Ehrenamtliche der beiden NGOs sie leiten. Die Bezahlangebote wie etwa Delfin- oder Seevögel-Touren, Reiten an der Küste entlang oder Wandern kann man das ganze Jahr über machen.
Mit einem Schlauchboot im ersten Morgenlicht auf das glatte Meer vor Sagres hinauszufahren, ist an sich schon ein Erlebnis, egal ob man nun Delfine oder Seevögel sucht. Das Land liegt da wie eine große, ockerfarbene Steinplatte, auf der dicht an dicht die weiß gekalkten Häuser der Stadt liegen. Das Licht wechselt von hellgelb und hellblau hin zu satteren Farben, ein Fischkutter fährt Richtung Hafen, umschwirrt von Hunderten Seevögeln. Die suchen wir auch, weit draußen auf dem Meer, wo sie fast ihr ganzes Leben verbringen. Junge Portugiesen, Holländer und ältere britische Herrn sind im Boot, alle behängt mit Ferngläsern und in aufgeräumter Stimmung. „Lovely“, rufen die Briten, wenn sie wieder einen Sturmtaucher oder eine Sturmschwalbe gesehen haben; Arten, die aus dem Nordatlantik kommen und hier im Meer überwintern. Man kann beobachten, wie ein Skua, eine große, dunkle Raubmöwe, anderen Möwen unter lautem Geschrei ihre Fische abjagt.
Und dann ruft die Meeresbiologin auf einmal: „Ein Hai!“ Tatsächlich ragen zehn Meter neben dem Boot zwei Flossen aus dem Wasser, von denen nur die hintere hin- und herpaddelt. Ein Blauhai, erklärt die Biologin, er wird mehr als drei Meter lang. Dieser hier scheint sehr entspannt zu sein und lässt sich vom Boot nicht stören. Bis der Motor angeht und wir mit hoher Geschwindigkeit wieder Richtung Hafen gleiten. Seevögel und Haie, so scheint es, lassen sich vom guten Wetter an der Algarve nicht abschrecken.