Der Mensch ist widersprüchlich. Das zeigt sich insbesondere im Urlaub. Da tendiert er dazu, Dinge zu tun, die er im Alltag weit von sich weisen würde: am Strand in Mallorca eine Bild-Zeitung kaufen. Hallo? Im Animationshotel vor wildfremden Menschen Karaoke singen. Geht’s noch? Einen Retsina trinken oder gar einen Lambrusco und allen Ernstes behaupten, er habe hervorragend geschmeckt. Jessas Maria!
Aber so sind wir eben. Im Urlaub entwickeln wir eine ungewohnte Milde, es ist halt gar so schön und warm, die Bougainvillea blüht, und die Einheimischen, die man zu Hause, egal ob Türken, Italiener oder Griechen, nicht ohne Vorbehalt sieht, sind hier total gastfreundlich und authentisch. Das ist natürlich gut so.
Aber musste man aus dieser gelösten Urlaubsstimmung heraus gleich mehrere Sechser-Kartons Lambrusco ins Auto laden? Oder meinetwegen Brunello di Montalcino? Zuhause angekommen, verhält es sich mit diesen Köstlichkeiten nämlich häufig so wie mit der eigenen Stimmung. Sie scheinen sich sofort anzupassen an das schlechte Wetter und den Arbeitsalltag. Denn sobald man den edlen Tropfen, der einem auf der Veranda der Ferienwohnung so gut geschmeckt hat, zu Hause entkorkt und daran nippt, stellt sich Ernüchterung ein: Ledrig und holzig schmeckt der Brunello, widerlich sauer der Lambrusco, harzig der Retsina. Hätte man ihn nur dort gelassen, wo er sein angestammtes Revier hat!
Kaum ein anderes Getränk ist derart stark an eine Region, einen Ort, ja sogar an einen bestimmten Boden geknüpft wie der Wein. Nicht umsonst gibt es, vorsichtig geschätzt, 780 Weinstraßen in Europa, aber gefühlt nur 3,5 Bierstraßen. Wein verbindet man immer mit einer bestimmten Region, einem Klima, einem Menschenschlag. Sobald all diese Faktoren nicht mehr vorhanden sind, weil der Weintrinker wieder zu Hause ist, scheint auch der Wein sich so fremd zu fühlen, dass er in den Geschmacksstreik tritt.
Aber dann gibt es da noch eine andere Fraktion von Menschen. Sie behaupten, sobald sie einmal einen Winzer persönlich kennengelernt haben, mit ihm durch Weingarten und Keller geschlendert sind, er ihnen den Lössboden und die alten Reben gezeigt hat, dass ihnen nun jede Flasche Riesling oder Grüner Veltliner doppelt so gut schmeckt, als wenn sie diese einfach in einer Weinhandlung gekauft hätten. Und das ganz unabhängig davon, ob der Wein am Urlaubsort oder zu Hause entkorkt wird.
Daraus kann man nur zwei Schlüsse ziehen: Alles ist Psychologie. Und: Egal, wie versiert und kennerhaft wir tun, wie viele Flaschen wir schon geleert haben, am Ende versteht keiner was vom Wein. In diesem Sinn: Prost!