Man kann und sollte im Biergarten über alles reden. Das Redebedürfnis steigt direkt proportional zum Zeitverlauf, sprich: Bierkonsum. Die Themenvielfalt ist fast so groß wie die bayerische Biervielfalt. Vom launischen Wetter, das vielleicht eine Sitzplatzwahl unter der Markise sinnvoll erscheinen lässt bis zum Evergreen-Thema: den Frauen, die trotz der noch frischen Temperaturen kaum mehr was anhaben – was dem einen naturgemäß helle Freude, dem andern höchste Pein verursacht. Nur über eins wird im Biergarten kaum gesprochen: das Bier. Es sei denn, es schmeckt ganz greislich, was aber in München so gut wie nie vorkommt.
Umso perplexer ist man, als der einsam wirkende Tischnachbar (Typ: zu große Jeansjacke) eine kurze Bemerkung zum Hofbräu, das hier im kleinen, wohnlichen Muffat-Biergarten an der Isar ausgeschenkt wird, zu einem abendfüllenden Vortrag über die chemischen Grundlagen des Brauens nutzt. „Das Hofbräu“, hebt er an, „ist ja nach Pilsner Art gebraut – deswegen auch die stärkere, bittere Hopfennote.“ Ihm selber schmecke es ja nicht so, (was seine Trinkgeschwindigkeit nicht vermuten lässt), er trinke ja lieber obergärige Biere. „Aber das gibt es ja heute kaum noch, nur im Rheinland.“
Zuerst aus Interesse, dann aus Mitleid und schließlich leicht widerwillig hört man zu, wie er über ober- und über untergärige Hefen doziert, die bei unterschiedlichen Temperaturen gären; dass das Münchner Wasser für das richtige Pils zu hart sei und das traditionelle Münchner Bier deshalb ein Dunkles war. Der Abend vergeht, ohne dass man mit seinen Freunden über die drängenderen Sommerthemen wie Frauen, Fußball oder Fincas hätte reden können – vor lauter Hopfen, Malz und Stammwürze. Gebiete ihm einer Einhalt! „Das ist ja schön und recht, Herr Sowieso, aber woher wissen S‘ das alles?“
Seine Mine versteinert. Er habe Brauereiwesen in Weihenstephan studiert, sagt er verlegen, sei aber nach den ersten zwei Jahren gescheitert: „Die hohe Chemie, das war nicht meins.“ Tragisch, denkt man, als er sich abrupt nach drei Maß verabschiedet, dass einer, der so für das Bier brennt, nicht brauen darf. Die vierte Maß schmeckt dann bitter und halbvergoren. Man sollte das Bier eben nicht zerreden! (erschienen in: Die Zeit, 03.05.2012)