Der rote und der blaue Esel wälzen sich auf dem abgeernteten Rapsfeld. Es staubt. Als Jan Paul mit seinem Bierglas auf die Tiere zugeht, stehen sie auf und lassen sich kraulen. „Du willst schon wieder Bier?“, fragt Paul den roten Esel, der die Schnauze in Richtung Glas bewegt. „Der Rote trinkt sehr gern Bier“, sagt Paul, „egal, welches.“
Da hat der Esel, dessen Fell rötlich schimmert, den richtigen Herrn gefunden, denn Jan Paul ist Braumeister, der bekannteste und erfolgreichste auf der Insel Bornholm. Wenn er nicht gerade hier auf seinem rot gestrichenen Bauernhof zwischen Raps- und Weizenfeldern seine Esel mit Bier tränkt, braut Paul unten an der Küste in Svaneke 50 verschiedene Biersorten, vom hellen Lagerbier bis zum Pale Ale. Svaneke-Bier ist der Renner bei den Sommergästen auf der Insel, nicht ganz billig zwar, aber in schick etikettierten Flaschen und natürlich made in Bornholm. „Ich versuche, im Sommer so wenig wie möglich in der Brauerei zu stehen und so viel wie möglich fischen oder segeln zu gehen“, sagt Paul, der stets eine Zimmermanns-Cordhose trägt und einen breitkrempigen Filzhut. Der gebürtige Flensburger hat seine Brauingenieurs-Ausbildung in München gemacht und ist vor neun Jahren nach Bornholm gekommen, er wollte wieder in den Norden. „Hier ist nicht so viel Gedöns.“ Gerade hat er Freunde zu Besuch, aus Christiania, dem besetzten und selbstverwalteten Stadtteil Kopenhagens. Die Leute tragen T-Shirts des „Øl-Klubben Sirius“, der Bierzapfhahn steht im Stall, gleich neben der mit Stroh ausgestreuten Eselsbox. Viele „Christianiter“ ließen sich im Alter auf Bornholm nieder, sagt Paul, genauso wie Berliner Linke. Ob das nun mit dem milden Inselklima, in dem sogar Feigenbäume wachsen, oder mit dem wenigen Gedöns, also der Freiheit hier zu tun hat, wer weiß das schon.
Die Insel, die näher an Schweden und Deutschland als an Dänemark liegt, zeigt sich jetzt im Spätsommer jedenfalls von ihrer besten Seite. Ausgedehnte Weizenfelder, in denen Feldhasen herumhoppeln, dazwischen Laubwälder, bunte Fachwerkhäuser und außen rum natürlich jede Menge Küste, rund 150 Kilometer, die im Norden und Westen aus hohen Granitklippen und im Süden aus langen, feinsandigen Stränden besteht. Das abwechslungsreichste Stück Dänemarks soll Bornholm sein – sagen zumindest die Bornholmer.
Der typische Bornholmer war jahrhundertelang Bauer und Fischer. Bauern gibt es hier immer noch, die Insel scheint ein einziges Feld zu sein, immer wieder erreicht einen ein Luftschwall, der an Schweinemast erinnert. Mit den Fischern hingegen sieht es eher schlecht aus. „Das hat mit den 40 000 Robben da draußen zu tun, die unsere EU-Fischquoten fressen“, sagt Tune Hansen, während sie auf ihrem kleinen Kutter im Hafen von Øster Sømarken Dorsche filetiert, wiegt und vom Boot weg verkauft. Höchstens fünf, sechs Fischer gebe es auf ganz Bornholm noch, es zahle sich einfach nicht mehr aus, die Ostsee sei leer. Ob das nicht auch ein klein bisschen an den Fischern liegt, speziell an den großen Trawlern, traut man sich Tune Hansen gar nicht mehr zu fragen, denn sie wirkt aufgebracht. Für Touristen, die herkommen, um frischen, günstigen Fisch zu kaufen, reicht der Fang immerhin noch.
Für Søren Heide Jensen von der Fischräucherei in Hasle reicht er bei Weitem nicht. „Wir kaufen unseren Hering in Kopenhagen. Das ist ein bisschen traurig, aber die Ostsee ist völlig überfischt.“ Jensens Räucherei, ein langes Gebäude mit vier kalkweißen Schloten und einem großen Haufen Erlenholz davor, steht fast direkt an der Kante der Steilküste im Nordwesten der Insel. Vom Meer weht immer ein Wind her und trägt den Duft von Holzfeuer und Räucherfisch weit ins Land hinein. Die Räuchereien sind das Wahrzeichen von Bornholm, in jedem Dorf sieht man die malerischen Schlote. Doch von einst mehr als 100 Räuchereien sind heute nur noch zehn in Betrieb, vor allem im Sommer für die Touristen. In Jensens Museumsräucherei in Hasle können sie zuschauen, wie in einem aufwendigen Prozess aus silbernen Heringen glänzend goldener Räucherfisch hergestellt wird, früher völlig zu Recht das „Gold von Bornholm“ genannt. Man kann die frisch geräucherten Heringe im angeschlossenen Restaurant gleich verkosten, garniert mit Radieschen, Zwiebeln und Eigelb heißt das Gericht „Sol over Gudhjem“ („Sonne über Gudhjem“) und schmeckt vorzüglich – mit einem Schnaps hinterher wird es auch verdaulich. Der Laden brummt, doch Jensen klagt, dass Geräuchertes unter jungen Leuten nicht mehr so gut ankomme: „Die halten sich die Nase zu, wollen nur Fischbuletten und dann Eis – wir verkaufen mehr Eis als Fisch!“
Nur ein paar Kilometer nördlich des hübschen Dorfes Hasle mit seinen bunten Häuschen steht ein bombastisches Bauwerk: Hammershus. Es ist eine der größten mittelalterlichen Burgen Skandinaviens, was sie aber wirklich attraktiv macht, ist ihre Lage auf einem Felsplateau über dem Meer. Der Wanderweg vom Ort Vang hinauf zur Burg gehört zum Schönsten, was man auf Bornholm machen kann: Es geht, immer mit Meerblick, zuerst durch lichten Laubwald mit uralten Bäumen und Farnen, bis man das fjellartige Felsplateau erreicht, mit blühendem Heidekraut, Wacholderbüschen und alten Kiefern. Entlang des Weges flattern die Schmetterlinge, die Sträucher hängen voller Brombeeren, die jetzt im Spätsommer reif sind und phantastisch schmecken. Oben in der Burgruine, die zurzeit restauriert und mit einem schicken Besucherzentrum ausgestattet wird, brüten noch die letzten Schwalben und umfliegen nervös die vielen Familien, die im Burghof picknicken, mit Blick auf Segelschiffe und Tanker draußen in der Ostsee.
Das Meer, natürlich! So gut man auf Bornholm auch wandern kann: Die Mehrheit der Sommergäste kommt selbstredend seinetwegen hierher. Von fast jedem Punkt der Insel aus ist ein Streifen Wasser zu sehen, da das Hinterland deutlich höher liegt. George Zeeman, ein weißbärtiger Hüne, bei dem Namen und Aussehen sich aufs Klischeehafteste vereinen, fährt jeden Tag hinaus. Oder vielmehr fährt er mit seiner 101 Jahre alten MS Thor die Ostküste entlang, von Gudhjem nach Helligdommen, vorbei an den höchsten Klippen der Insel, die er alle beim Namen kennt. „Unser Schiff wurde schon damals für Touristen gebaut, weil denen die Fischerboote zu sehr stanken“, sagt Zeeman. Die Straßen seien schlecht gewesen, die Hotels standen auf den Klippen und waren leichter mit Booten zu erreichen. Das Hotel Helligdommen etwa, das ein Deutscher kaufte, und damit großen Protest erregte. Den Deutschen gefiel es hier schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts so gut, dass sie rund um Hammershus Land erwerben wollten, um ein „Neu-Berlin“ zu gründen. Das störte die Bornholmer sehr, sie gründeten 1906 den Bornholm Verein. Der setzte sich den Schutz der Natur sowie der wertvollen Bauten zum Ziel, „und dass diese nicht in die Hände von ausländischen Eigentümern kommen“. So hält es Dänemark bis heute, die vielen Sommerhäuser dürfen nicht an Ausländer verkauft werden.
Dafür sind die Campingplätze an den Sandstränden im Süden der Insel fest in deutscher Hand, besonders im August, wenn die dänischen Sommerferien schon wieder enden. Man kann etwa von Dueodde, dem Südkap der Insel, in jede Richtung mindestens zehn Kilometer gehen, ohne Hotelanlagen oder anderen Scheußlichkeiten zu begegnen. Der weiße Sand ist fein wie Mehl, der Strand wird flankiert von einem bewachsenen Dünengürtel und lichten Kiefernwäldern dahinter. Dort haben es sich Familien mit kleinen Kindern wohnlich eingerichtet in ihren Hightech-Zelten. Nicht wenige kommen aus Berlin, der Trend geht zum zwei- bis dreiwöchigen Aufenthalt; beim gemeinsamen Grillen unterhält man sich über die Integrationsproblematik in Kreuzberger Kitas. FKK-Baden oder nicht ist keine Frage, jeder tritt dem Meer entgegen, wie er sich dazu in der Lage sieht.
„Es ist das Mehr an Freiheit“, sagt Matthias Gieseler, ein Mann, der seinen Urlaub seit 40 Jahren auf Bornholm verbringt, auf die Frage, was die Insel von deutschen Ostseebädern unterscheide. „Dort ist alles verboten, hier wird man erst mal freundlich ,velkommen‘ geheißen.“
Ob das hier nicht verboten sei, diese Frage stellen sich die Berliner Mütter und Väter erst, als das Lagerfeuer am Strand schon hell brennt, darüber der Mond und darunter die leise plätschernde Ostsee. Auf einmal singen ein paar der vielen Kinder, die Namen wie Mascha, Kalle oder Matthis tragen, die Ode an die Freude, das haben sie in ihrer Kita gelernt. Spätestens bei der Zeile „Alle Menschen werden Brüder“ ist es allen so was von egal, ob Feuer hier erlaubt sind oder nicht.