Pscht! „Hört ihr ihn? Pfähle absuchen! Bäume absuchen! Pscht!“ Engelbert Mayer muss schon ein wenig energisch werden, um den Haufen von elf Vogelfreunden zu dirigieren. Schneller als jeder andere hat Mayer den Gartenrotschwanz auf der Buche entdeckt und durch sein Fernrohr fokussiert. Alle dürfen mal durchschauen. Tirilierend sitzt er da. Ein hübsches Vögelchen: weiße Stirn auf schwarzem Kopf, rostroter Brustlatz. Und noch dazu ist es der Vogel des Jahres 2011.
„Das war schon mal ein schöner Einstieg“, sagt ein Teilnehmer, „aber, Engelbert, hattest du uns heute nicht den Wiedehopf versprochen?“ Ja, Mayer hatte. Und er ist auch entschlossen, sein Versprechen einzulösen. Engelbert Mayer ist pensionierter Postbeamter und Vorsitzender des Naturschutzbundes Kaiserstuhl. Seit fünf Jahren führt er Gruppen von ornithologisch Interessierten durch die Hügellandschaft seiner badischen Heimat. Die Reise heißt „Wiedehopf und Hefezopf“. „Ich habe mir den Namen als Marke schützen lassen“, sagt Mayer. Schließlich sei der unter Naturfreunden in ganz Deutschland bekannt.
„Wir sind jetzt in einem Wiedehopfrevier“, sagt der weißbärtige Vogelkundler mit gedämpfter Stimme. „Wenn wir nun den Hang hochgehen, sollten wir im Pulk bleiben und die Geräuschkulisse runterfahren.“ Still wie ein Begräbniszug geht die Gruppe zwischen den Weinbergen hinter dem Dorf Eichstetten den Hügel hinauf. Auf dem Plateau erteilt Mayer nochmals genaue Instruktionen: Er gehe jetzt zur Geländekante vor, baue das Fernrohr auf und richte es auf die Holzhütte mit dem Nistkasten. Im Fokus werde das Loch in der Bretterwand sein und ein Holzpfahl davor. „Er kommt entweder den Hang entlang oder von hinten um die Hütte. Wenn er das Futter übergeben hat, setzt er sich oft noch kurz auf den Pfahl. Das ist der Moment!“ Klingt nach geheimer Kommandoaktion. Aber nichts tut sich. In der Ferne ist im Dunst das Freiburger Münster zu sehen, dahinter der Feldberg. Ein Storch fliegt vorbei.
Der Kaiserstuhl, so hatte Mayer schon am ersten Abend beim Diavortrag im Gasthof Rössle in Vogtsburg erzählt, ist eine der wärmsten Gegenden Deutschlands. Hier kommen Arten vor, die es sonst nur im mediterranen Raum gibt: die Smaragdeidechse etwa, der Bienenfresser und eben der Wiedehopf. Der lustige Vogel mit dem hahnenartigen Federkamm und dem langen Schnabel war hier fast ausgestorben, als der Naturschutzbund und vor allem Mayer damit begannen, Löcher in die Holzschuppen zu bohren und dahinter Nistkästen zu montieren. Das Tier ist ein Höhlenbrüter, und weil die Streuobstwiesen mit alten morschen Bäumen zugunsten von breiten Weinterrassen weniger wurden, gab es nicht mehr genug Höhlen für ihn. Insektizide taten ein Übriges. 1987 gab es noch drei Brutpaare am Kaiserstuhl, heute sind es wieder knapp 100. Eine Erfolgsgeschichte.
An der möchte Mayer seine Besucher gerne teilhaben lassen. Doch am Schuppen passiert seit einer halben Stunde – nichts. „Die einen stehen stundenlang vor dem Speyrer Dom“, sagt Hermann, der älteste Teilnehmer aus der Gruppe, „und wir stehen stundenlang vor so einer Bretterbude.“ Seine Frau Gertrud, die diese Reise schon zum vierten Mal mitmacht, schaut durchs Fernrohr und sagt: „Wenn der wüsste, wie gefragt er ist – dann wäre er noch eitler.“
Die „Ornis“, die auf dieser Reise dabei sind, zählen nicht zu den Hardcore-Birdwatchern, denen es darum geht, so viele Arten wie möglich auf ihrer Liste abzuhaken. Da ist das ältere Ehepaar aus der Pfalz, das beim Naturschutzbund engagiert ist. Da sind die zwei stillen Schweizerinnen, um die 60, die sich ideal ergänzen: „Sie kennt alle Vogelstimmen“, sagt die eine, „und sie sieht alle Vögel“, sagt die andere. Überhaupt besteht der Großteil der Gruppe aus Frauen. Das liege wohl daran, meint eine, dass es bei der Reise auch um Orchideen und Schmetterlinge, nicht nur um Birdwatching gehe, das eine Männerdomäne sei.
Am Holzschuppen scheint sich nun etwas zu tun. Zumindest ruft Getrud aufgeregt, sie hätte den Kopf des brütenden Weibchens in der Öffnung gesehen. Leider bleibt sie die einzige. Ermüdet lassen sich manche im Schatten eines Nussbaums nieder, mit Blick über Weinterrassen und Obstwiesen. Milan, Bussard, Bluthänfling, Grünspecht, Goldammer, Graureiher, Turmfalke, Kuckuck, Pirol ziehen vorbei. Nur kein Wiedehopf.
Auf dem Weg zum nächsten Brutplatz geht es durch eine Lösshohlgasse. Das sind tief in die Landschaft eingeschnittene Hohlwege. Der Löss ist ein feines Sediment, der das Wasser speichert und sich vortrefflich zum Weinanbau eignet. Die Lössabbrüche werden aber auch von Bienenfressern geschätzt, tropisch bunten Vögeln, die ihre Bruthöhlen in das weiche Sediment hineingraben. Als die Gruppe durch den Hohlweg geht, hört Mayer schon von weitem den Ruf. „Der Bienenfresser kündigt sich immer an“, sagt er, „ganz im Gegensatz zum Wiedehopf.“ Da fliegen sie auch schon, die hoch stehende Sonne durchleuchtet ihr türkis-gelb-rostrotes Gefieder. Großes Oh und Ah. Und großes Fressen für Naturfotografen
Am nächsten Wiedehopf-Schuppen wieder dasselbe Bild: ein Loch in der Holzwand, das dunkel bleibt. Stattdessen ist Geschrei zu hören, als drücke jemand auf eine Quietschente. Mayer pfeift. Das Geschrei kommt näher. „Der Wendehals ist für uns ein dankbarer Vogel“, sagt er, „denn er ist sehr neugierig – ganz im Gegensatz zum Wiedehopf.“ Der Wendehals, der ein rechter Schreihals ist, kommt immer näher, setzt sich schließlich auf einen Baum neben der Gruppe, und Mayer hat ihn auch gleich im Fernrohr: einen erdfarbenen Vogel mit dunklem Rückenstreifen. Es sei der einzige Specht, der keine Höhlen baut, erklärt Mayer, er ernähre sich von Wiesenameisen und sei überall sehr selten – außer am Kaiserstuhl.
Am letzten Wiedehopfschuppen, auf der letzten Geländekante. Freiburg verschwindet im Dunst, die Hitze ist groß, Lethargie macht sich breit. „Da ist er. Da fliegt er“, ruft Mayer begeistert. „Jetzt ist er über dem Acker, jetzt über den Reben, jetzt steigt er höher, jetzt setzt er sich auf einen Pfahl. Ich hab ihn drin!“ Die meisten anderen haben ihn nun auch gesehen, nun können alle noch durchs Spektiv schauen, wie er auf dem Rebpfosten sitzt, lustig, schlank und flatterhaft. Denn dann ist er auch schon wieder weg.
Eine gewisse Erleichterung ist Mayer anzumerken, die Gruppe ist zufrieden. Beschwingt geht es weiter zu einem Bioweingut, wo es gleich eine Weinprobe geben soll. Als man einem der Winzer-Lehrlinge dort voll Freude erzählt, man habe nach langem Suchen endlich einen Wiedehopf erspäht, sagt der nur trocken: „Der fliegt bei uns immer am Küchenfenster vorbei.“