Ein Tropenregen ist laut. Ein Tropenregen ist sehr laut, wenn man unter einem Wellblechdach sitzt. Die kenianische Popmusik, die eben noch das Restaurant Pork Joint ausgefüllt hat, ist fast nicht mehr zu hören. Das Wasser prasselt mit aller Gewalt auf die mit Blech bedeckte Bretterbude. Es tropft ein bisschen durch, aber das stört die Menschen nicht, die hier drin im Halbdunkel auf groben Holzbänken sitzen, frittiertes Schweinefleisch mit Weißkraut und Kochbananen essen oder einfach nur ein ugandisches Bier trinken.
Draußen bringt der Wirt Edward Turinawe schnell den Schweinskopf vor dem Regen in Sicherheit, denn die Küche liegt vor der Hütte: eine Feuerstelle auf dem Boden, ein großer Wok, ein Holzblock mit Machete drauf, ein windschiefes Blechdach. „Das Restaurant läuft gut“, sagt er gut gelaunt, „ich bin zufrieden.“ Jeden Tag außer Freitag brate er Schwein. Touristen verirrten sich eher selten zu ihm. Aber Dorfbewohner, die mit Touristen Geld verdienen, können sich immerhin hier ein Gericht leisten.
Es ist später Nachmittag in Rushaga, einem sehr entlegenen Dorf an der Grenze des ebenfalls sehr entlegenen Bwindi-Nationalparks. Dessen offizieller Name beinhaltet noch ein „impenetrable“, also undurchdringlich. Hier, in der südwestlichsten Ecke Ugandas, leben auf 330 Quadratkilometern Bergregenwald rund 400 Berggorillas, knapp die Hälfte des verbliebenen Bestandes. Die andere Hälfte verteilt sich auf das Gebiet der Virunga-Vulkane in Uganda, Kongo und in Ruanda. Die vom Aussterben bedrohten Primaten sind der Grund, weshalb Menschen aus aller Welt in das auf etwa 1800 Metern gelegene Dorf Rushaga kommen.
Rushaga besteht aus weit verstreuten Lehmziegelhäusern und Holzhütten, dazwischen Wege und Trampelpfade aus roter Erde. Jedes noch so steile Stück Land rund ums Dorf wird mit Hacken bestellt, man baut vor allem Süßkartoffeln, Bohnen und Mais an. Kinder, barfuß und in zerschlissenen Kleidern, tragen Wasserkanister oder ihre kleinen Geschwister durchs Dorf. Frauen balancieren Körbe voll Süßkartoffeln auf dem Kopf. Die mutigeren Kinder winken und rufen den Fremden belustigt „Mzungu“ hinterher – Weißer!
Die Armut fällt ins Auge, und doch soll dieses Dorf in den letzten Jahren einen starken Aufschwung genommen haben. „Seit 2009 gibt es hier Gorilla-Tourismus, und auch wenn die Leute immer noch arm sind, hat sich viel getan“, sagt Gladys Kalema-Zikusoka. Es gibt heute eine Schule direkt im Dorf, die Bauern können ihr Gemüse an die Hotels und Gästehäuser verkaufen. Das sorge für zusätzliches Einkommen, mehr Bildung und bessere Gesundheitsversorgung. „Und dadurch können wir auch die Gorillas besser schützen.“
Kalema-Zikusoka ist eine in ganz Uganda bekannte Wild-Tierärztin, und die von ihr gegründete Nichtregierungsorganisation CTPH verfolgt einen interessanten Ansatz: Mit ausgebildeten Freiwilligen versucht sie, in den Dörfern rund um den Bwindi-Nationalpark die Lebensumstände, vor allem Hygiene und Gesundheit der Bewohner zu verbessern, um so die Gorillas vor Krankheiten und vor Eingriffen in ihren Lebensraum zu schützen. Weil die Bevölkerungsdichte zunehme, reichten die Dörfer und Äcker immer näher an die Grenze des Nationalparks heran, erklärt die Naturschützerin. „Die Gorillas kommen deshalb zur Futtersuche auch in die Siedlungen und können sich mit Krätze, Diarrhö oder Atemwegserkrankungen anstecken, die für sie tödlich enden.“ Je gesünder die Bevölkerung, desto gesünder auch die Gorillas.
Wer von den Gorillas nicht nur hören, sondern sie auch sehen will, muss die Dorfstraße von Rushaga bis ans Ende gehen. Man kommt durch eine Reihe von Bretterbuden, vor denen viele Verkäuferinnen mit geschnitzten Gorillas und geflochtenen Körbchen um Kundschaft buhlen. Dahinter ist eine Schranke, hier beginnt der undurchdringliche Bwindi-Bergregenwald. Jedes Gorilla-Tracking fängt mit einer morgendlichen Einweisung an, in einem Pavillon im Wald. Die Ranger erklären einem nützliche Dinge, etwa, dass es besser ist, die Hose in die Socken zu stecken, wegen der Waldameisen, die schmerzhaft zubeißen können. Das kommt etwas spät, denn auf dem Weg zum Pavillon hat man mehrere Ameisen-Straßen gekreuzt.
Dreizehn habituierte, also von den Rangern über Jahre an Menschen gewöhnte Gorillafamilien gibt es im Bwindi-Nationalpark, sagt ein Ranger, das sei knapp die Hälfte aller 400 Tiere hier. Die Population ist stabil. Man muss sieben Meter Distanz zu ihnen halten, wer eine Erkältung hat, darf sie nicht besuchen. Schnupfenkontrolle macht er keine. 600 US-Dollar kostet es pro Person, eine Stunde darf man dafür bei der Gorillagruppe bleiben. 2016 kamen allein in den Bwindi-Wald 19 000 Gorillatouristen. Das viele Geld ist eine wichtige Einnahmequelle für den Staat. Es dient dem Schutz der Gorillas, fließt aber auch in das Management der neun anderen ugandischen Nationalparks. 20 Prozent des Geldes sollen nach offiziellen Angaben den Gemeinden rund um den Park zugutekommen, was man angesichts der Armut in Rushaga kaum glauben kann. Am schlimmsten sind die Batwa dran. Die Waldpygmäen, die vom Jagen und Sammeln im Regenwald lebten, wurden wegen der Einrichtung der Nationalparks zwangsumgesiedelt. Ein paar Familien leben am Rand von Rushaga unter traurigsten Bedingungen, geächtet vom Rest der Bevölkerung und überfordert davon, Ackerbauern zu werden. Man wird den Eindruck nicht los, dass hier eine Gruppe von Menschen dem Gorillaschutz untergeordnet wird.
Nach der Einweisung werden Gruppen eingeteilt, je nach Wanderfähigkeit. Die weniger Fitten bekommen eine Gorillafamilie zugewiesen, die voraussichtlich etwas näher ist, die Jüngeren eine weiter entfernte. Die uns zugewiesene Gruppe namens Bweza soll etwa zwei bis drei Stunden Fußmarsch entfernt sein, sagt der Ranger Augustin Buhangi, ein trotz seiner leisen Stimme Respekt einflößender Mann in dunkelgrüner Uniform und Gummistiefeln. „Ab jetzt müssen wir leise sprechen“, sagt er. Aggressiv seien die Tiere gar nicht, nur zu lautes Sprechen oder hektische Bewegungen könnten sie stressen und den dominanten Silberrücken zu Imponiergehabe anstacheln. Was dann? „Dann wendet ihr den Blick ab, hockt euch hin und verhaltet euch ruhig. Das heißt: Ihr ordnet euch unter.“
Zunächst geht es einen relativ breiten Weg entlang, der die steilen Hänge des mit Baumriesen, Sträuchern und hohen Farnen bewachsenen Waldes quert. Mal hört man Affen in der Ferne schreien, dann zeigt Ranger Buhangi auf einen hohen Mahagonibaum: Dort sitzen Riesenturakos, prächtige, blau schimmernde Vögel mit einer Federkrone. Sie stoßen laute, klagende Rufe aus. Ansonsten ist es relativ still, feucht zwar, aber wegen der Höhe von fast 2000 Metern nicht besonders heiß.
Wir marschieren im Tross mit mehreren Helfern, die, wo nötig, mit Macheten den Weg freischlagen. Zwei Ranger tragen Kalaschnikows. Augustin Buhangi zeigt uns den Grund dafür: Auf dem immer steiler ansteigenden Pfad liegen eindrückliche Dunghäufen: „Von Waldelefanten“, sagt Buhangi, „die sind nicht so nett zu uns wie die Gorillas.“ Manchmal müsse man sie mit Warnschüssen vertreiben. Einige seiner Männer sind vorausgegangen, um die zehnköpfige Bweza-Gorillafamilie zu suchen, da diese sich jeden Tag zum Fressen und Schlafen fortbewegt.
Plötzlich bekommt Buhangi einen Funkspruch: „Sie haben sie gefunden“, sagt er und zweigt bald darauf vom breiten Pfad ab, hinein ins Unterholz. Nach kurzer Zeit versteht man, weshalb der Wald undurchdringlich genannt wird: Es geht steil hinauf und hinab, über schlammige Pfade und rutschige Wurzeln. Man muss sich an Ästen und Büschen festhalten. Buhangis Männer hacken den Weg frei. Nach guten zwei Stunden durchqueren wir einen schlammigen Bach, dann geht es noch mal schweißträchtig bergauf. Als man denkt, wo sind denn nun die verdammten Affen, ruft jemand: „Da oben!“
Tatsächlich sitzen mehrere von ihnen weit oben in hohen Bäumen, was für sie ungewöhnlich ist. „Sie sind verrückt nach den reifen Früchten des Sternapfelbaums“, erklärt Buhangi. Als wir unter den Bäumen ankommen, passiert etwas Unerwartetes. Wie die Feuerwehr seilt sich ein Gorilla nach dem anderen ab. Zuerst eine Mutter mit einem Jungtier auf dem Rücken, dann ein großes Männchen und schließlich der massige Silberrücken. Am Fuß der Bäume, keine zehn Meter neben uns, halten sie kurz inne, um dann im Dickicht zu verschwinden. „Sie sind so nett zu uns“, schwärmt Buhangi. Es dauere Jahre, bis eine Gruppe die Menschen akzeptiere, jeden Tag müssten die Ranger dafür mehrere Stunden bei ihnen verbringen.
Die Ranger nehmen nun die Verfolgung auf, hacken schmale Gassen ins Gebüsch. Überall knackt und kracht es. Auf einmal ruft Buhangi: „Da kommt einer von hinten, geht zur Seite!“ Leicht gesagt, wenn man in einer engen Schneise steht. Aber weil der Schwarzrücken, etwa 150 Kilo schwer, im sprichwörtlichen Affenzahn hier durch will, drückt man sich halt irgendwie an die Stauden. In Berührungsdistanz läuft er vorbei, würdigt uns aber keines Blickes. Sein Ziel ist eine Lichtung am Hang, wo sich nun die ganze Familie verstreut hat und seelenruhig Blätter, Früchte und junges Holz mampft. Manche grunzen, andere furzen. Es herrscht großer Frieden. Man schaut sie an und sie schauen einen an. Für einen kurzen, rührenden Moment blitzt die Erkenntnis auf: Klar, wir sind verwandt!