Jetzt, jetzt ist es Zeit für den Angriff. Vorne in der Dunkelheit liegen ein paar Gehöfte, nur schemenhaft zu erkennen. Kein Mond am Himmel. Eiseskälte. Die steilen Wiesen sind mit einer dünnen Schneeschicht überzogen. Da gibt einer das Kommando und vom Waldrand stürzt ein Dutzend wilder Gestalten auf die Bauernhöfe zu. Über dunkler, abgerissener Kleidung tragen sie blaue Schürzen und Ledergürtel mit Viehglocken daran. Es klingt, als wäre eine Herde ausgebrochen. Im Schein einer kleinen Laterne, der einzigen Lichtquelle weit und breit, sind Gesichter zu erkennen. Es sind Fratzen aus Fell oder Baumflechten, mit langen Bärten und roten Nasen. Aus den Mundöffnungen der Masken dampft der Atem. Einer bläst in ein Bockshorn. Schrille Jauchzer durchschneiden das Herdengeläut. Sie kommen von einem seltsamen Paar, das im Zentrum des Pulks mitläuft: Der Mann hat als einziger eine kurze Lederhose an und eine knallrote Filzjacke, sein Gesicht bedeckt ein zerzaustes Schaffell. Er jagt mit einem Holzschwert hinter seiner Frau her. Sie läuft im Dirndl, eine sackartige Stoffmaske über dem Kopf.
Doch als der finstere Trupp den ersten Bauernhof erreicht, geschieht etwas Unerwartetes. Der Lärm verstummt. Das seltsame Paar ist verschwunden. Statt über Haus und Gesinde herzufallen, stellen sich die waldgeisterartigen Gestalten brav im Kreis auf und beginnen, ein frommes Lied zu singen. In den Fenstern erscheinen Gesichter, alte Frauen, kleine Kinder mit ängstlichen Augen. Auf der Schwelle stehen Bauer und Bäuerin und hören zu. Es wirkt, als hätte ein Deus ex machina die wilden Geister gezähmt – bis auf einmal das seltsame Paar wieder hinter dem Stadel hervor rennt, schreiend in den Kreis der Geister drängt und wild miteinander tanzt.
Wäre man in Afrika oder Papua Neuguinea, man könnte das Ganze für einen schamanistischen Ritus halten, verstörend, aber irgendwie zur Hitze und zu den eigenen Klischeebildern passend. Doch das hier ist das Sarntal, ein Gebirgstal mitten in Südtirol, mitten in den Alpen. Und das Thermometer zeigt minus 11 Grad. Es ist ein Donnerstag im Dezember. Mit diesem Wochentag hat es hier zur Adventszeit eine besondere Bewandtnis. Es ist Klöckelnacht. Jedes Kind weiß das. Aber niemand darf wissen, wer die Klöckler sind. Es ist ein heimlicher Brauch, dessen Wurzeln im mythischen Dunst verschwimmen und der so nur noch hier, im von hohen Bergen flankierten Sarntal ausgeübt wird.
Vor drei Stunden sah alles nach einem gewöhnlichen Feierabend aus. Klaus Oberhöller, ein Kraft strotzender Mann in seinen Dreißigern, füttert Kühe und Ziegen im Stall. Dann steigt er die Steintreppe zum alten Hof hinauf und betritt die gut geheizte Holzstube. Doch statt sich auf der Ofenbank niederzulassen, tauscht er die Arbeitskleidung gegen eine kurze Lederhose, eine knallrote Filzjacke, auf den Kopf kommt ein altertümlicher, wagenradgroßer Hut. Geschäftig und voll Vorfreude assistiert ihm die alte Bäuerin, die auch in der Stube das Kopftuch nicht ablegt. Sie verwandelt ihn ins Zussl-Mandl, den männlichen Part des Paars, das im Zentrum des Klöckelbrauchs steht.
Der weibliche Part, das Zussl-Weibele, sitzt auch bereits in der mit ausgestopften Eulen, Gamsköpfen und Heiligenbildern verzierten Stube: Günther Unterkalmsteiner ist gekommen, um seinen Freund für die Klöckelnacht abzuholen. Nur Männer sind zugelassen, also wird auch die einzige weibliche Figur von einem Mann verkörpert. „Vor der Rolle der Zussl drücken sich die meisten“, sagt Günther, der der Kopf der Klöckel-Bande ist. „Wir müssen viel mehr herum rennen und in jedem Haus Schnäpse trinken.“ Seit vielen Jahren stehen die beiden Freunde aus Ministrantentagen im Zentrum ihrer „Kutt“, wie die Klöckel-Gruppen genannt werden. Zuletzt verhüllt Klaus, der in jedem Bauernstück den Wilderer geben könnte, sein Gesicht mit einer „Larv’“, der Maske aus Schaffell, aus der Augen und Mund ausgeschnitten sind und an der eine rote Stoffnase baumelt. Klaus sieht nun aus wie die Karikatur des Tiroler Volkshelden Andreas Hofer. „Wenn man die Larv‘ aufsetzt“ sagt er, schmeckt man wieder, was man vor einem Jahr alles getrunken hat.“
Schnell noch ein paar Happen essen, geräucherte Würste von der selbst geschossenen Gams, dann ist es auch schon Zeit zum Aufbruch. Die 15-köpfige Kutt trifft sich in einer Stunde, der Ort ist streng geheim. Vorher muss Günther noch verkleidet werden. Das geschieht unten im Dorf, in einer Neubauwohnung, wo der große hagere Mann von seiner Mutter Schicht für Schicht in eine Frau verwandelt wird: Unterrock und Trachtenkleid, Seidentücher und Schellengürtel. Über den Kopf kommt die böse wirkende Stoffmaske, darauf ein Hut samt Hahnenfedern. Frauen dürfen zwar selbst nicht mitmachen, aber ohne sie würde der Brauch nicht funktionieren: Kostüme und Masken sind fest in ihrer Hand. „Nimm den Hut ab im Auto, sonst brichst du die Federn ab“, ruft die Mutter. Dann verschwindet das seltsame Zussl-Paar in der eisigen Nacht.
Der Ablauf des Brauchs folgt einer ritualisierten Choreographie: Die sich jagenden Zussl als wildes Element rennen vorneweg, versuchen, in die Häuser einzudringen und die Bauersleute herauszuholen. Die Kutt mit einem Ziehharmonikaspieler und dem Spenden einsammelnden Lottersackträger stellt sich im Kreis auf und singt zwei Lieder: zuerst das betont fromme Klöckellied, dann das lustigere Dankeslied mit Segenswünschen für die Bauern. Zwischen den Liedern kehrt das Zussl-Paar in die Mitte der Klöckler zurück. Das Zussl-Mandl schlägt dabei mit dem gespaltenen Holzsäbel den Takt, ähnlich wie ein Schuhplattler. Nachdem der Lottersackträger mit seiner zerbeulten Milchkanne Spenden eingesammelt hat, früher Würste und Speck, heute nur Geld, zieht die Kutt lärmend zum nächsten Hof. Nur die Zussl werden ins Haus gelassen, den anderen wird draußen dampfender Glühwein eingeschenkt. Sie müssen ihre langen roten Stoffnasen hoch klappen, damit sie das Getränk an den Mund ansetzen können. „Vergelt’s Gott für den Weiberwein“, hört man sie mit verstellten, hohen Geisterstimmen rufen.
Was sind das aber für Geister, die da in den dunkelsten Nächten des Jahres durch Dörfer und über die Felder ziehen? Sie treten nicht nur hier im Sarntal, sondern in ähnlicher Gestalt im ganzen Alpenbogen auf. Häufig kommen sie in Fellkostümen daher, mit schauerlichen, teufelsartigen Holzmasken. Andere sind ganz in Stroh gekleidet, wie die Buttnmandl in Berchtesgaden, wieder andere tragen nur kunstvolle, hoch aufgetürmte Kopfbedeckungen. Gemein ist den meisten, dass sie von Haus zu Haus gehen, etwas vortragen und Almosen einfordern. Manche gebärden sich sehr wild und mahnen zum richtigen, christlichen Verhalten – wie etwa die Krampusse, die stets um den 6. Dezember im Gefolge des Nikolaus auftreten. Die Perchten hingegen, von denen es schöne und schiache -also hässliche- Formen gibt, sind zwischen Weihnachten und dem 6. Januar unterwegs. Manche Experten bringen diese Bräuche mit den Raunächten in Verbindung. Das sind die zwölf Nächte zwischen dem 25. Dezember und dem 6. Januar. Sie galten im Volksglauben -und vor allem Aberglauben- als unheimlichste Zeit des Jahres, weil sie die Differenz zwischen dem kürzeren Mond- und dem längeren Sonnenjahr bilden. Man glaubte, dass in den Rau- oder Zwölfnächten die Grenzen zu anderen Welten fallen. Es gab in dieser Zeit Lostage, an denen man Orakel befragte zu Wetter, Glück und Unglück im nächsten Jahr; das Bleigießen zu Silvester erinnert noch daran. Bis heute gehen im Sarntal Bauersfamilien in diesen Raunächten betend und mit Weihrauch durch Haus und Stall, um Böses abzuwenden.
Das Klöckeln aber ist ein spezieller Fall. Zwar weist es Elemente des Perchtenlaufs auf und das seltsame Hochzeitspaar erinnert an ähnliche Fastnachtsbräuche. „Aber es fand immer schon nur an den ersten drei Donnerstagen im Advent statt und ist ein klar christlicher Heischebrauch, sagt Thomas Nußbaumer, Professor am Mozarteum Salzburg. Er leitet die Abteilung Musikalische Volkskunde und hat die vielen Winterbräuche in den Alpen eingehend erforscht. Klöckeln komme nicht von den Glocken, mit denen Lärm gemacht werde, sondern von „anklöpfeln“, also an Türen klopfen. „Früher, da sind nur die Ärmsten zum Klöckeln gegangen, also Knechte, Holzfäller und Hirten“, sagt Nußbaumer. „Es war eine legitimierte Form des Bettelns.“ Für das Singen erhaltene Würste, Speck und Geld hätten den Knechten und Hirten über den Winter geholfen. Daher komme auch die starke Geheimhaltung, die heute noch verbreitet ist. „Man wollte nicht erkannt werden und sich als armer Teufel outen.“
Gleichzeitig gehe es aber auch, ähnlich wie bei vielen Fastnachtsbräuchen, um eine Umkehrung der Verhältnisse: Die maskierten Knechte konnten die Obrigkeit, also die Bauern, den Pfarrer oder den Dorfarzt wenigstens einmal im Jahr etwas in Verlegenheit bringen, indem sie mit verstellter, hoher Stimme etwa auf ihren Geiz oder ihre Gier anspielten. Da kam es nicht selten zu gewalttätigen Auseinandersetzungen – wie übrigens auch, wenn zwei Klöckel-Banden in der Dunkelheit zufällig aufeinander trafen.
Ein solcher Zusammenstoß ist auch heute Nacht möglich – aber eher unwahrscheinlich. Denn die Kutt um Günther und Klaus hat beschlossen, den abgelegenen Weiler Putzen heimzusuchen, nur über eine kurvenreiche, vereiste Straße erreichbar, hoch über dem Tal. Im Hauptort Sarnthein seien mittlerweile zu viele Gruppen unterwegs, da es dort mehr Geld und Zuschauer gebe. „Man muss zum Singen regelrecht anstehen“, sagt Klaus: „Wir machen es wieder so, wie es früher war – von Hof zu Hof.“
Tatsächlich trifft es in dieser Nacht manche unvorbereitet, zu lange ist hier oben niemand mehr zum Klöckeln gekommen. Der schmächtige Bauer vor seinem großem Hof wirkt verlegen. Er bittet die ganze Kutt nach dem Singen zum Weintrinken in seine Garage. Da fragt ihn einer Klöckler mit verstellter Stimme: „Wo sind denn die Schwiegertöchter? Wir würden gern die Schwiegertöchter anschauen.“ Jetzt ist der Bauer noch verlegener. Nach einer Pause antwortet er: „Ich hab noch keine.“ „Ja warum denn nicht?“ Pause. „Das weiß ich selber nicht.“ Die Waldgeister lachen. Auf dem Weg zum nächsten Hof erzählt Günther, dass der Bauer zu den größten Grundbesitzern hier oben gehört, aber keiner seiner drei erwachsenen Söhne habe bisher eine Frau abbekommen.
Das Thema der ledig Gebliebenen wird in vielen Winterbräuchen aufgegriffen, sagt Karl Berger, Ethnologe am Volkskunstmuseum in Innsbruck. „Wenn jemand im Dorf unverheiratet blieb, bedeutete das in einer bäuerlichen Gesellschaft: keine Kinder, also weniger Arbeitskräfte, keine Absicherung im Alter.“ Man habe deshalb, zur Rüge der Ledigen und zur Erheiterung der anderen Spielhochzeiten inszeniert; ein Brautpaar stehe im Zentrum vieler Fastnachtsbräuche in ganz Europa. Und da Elemente verschiedener Bräuche häufig vermischt wurden, stellt wohl das Zussl-Paar ebenfalls eine solche satirische Hochzeit dar. Dass es in den Alpen vor allem im Winter wild hergehe, liegt laut Berger nicht nur an christlichen Festen oder gar den Raunächten. „Der Winter ist in einer bäuerlichen Gesellschaft die arbeitsärmste Zeit“, so Berger. „Die Höfe lagen oft weit auseinander und es war nichts los. Die Bräuche hatten deshalb eine wichtige soziale und unterhaltende Funktion.“ Heute ist der Hauptgrund ein anderer. Das Wiedererstarken der Bräuche im ganzen Alpenraum seit etwa 20 Jahren habe, so sind die Forscher überzeugt, mit der Globalisierung zu tun. „Sie festigen in einer sich schnell verändernden Welt die regionale Identität, verkörpern das nicht Austauschbare“, so Feldforscher Thomas Nußbaumer.
„Deshalb berufen sich die Klöckler und andere Brauchausübende gerne darauf, dass ihr Brauch uralt sei, gar heidnisch-germanische Fruchtbarkeitsriten zum Ursprung habe“, sagt Ingo Schneider, Professor am Institut für Europäische Ethnologie der Universität Innsbruck. Doch das sei eine Erfindung der deutschen Romantik, als Herder und die Brüder Grimm nach dem „germanischen Nationalgeist“ suchten, was die Nazis später gerne aufnahmen. Man habe ein germanisches Pendant zur griechisch-römischen Mythologie schaffen wollen und die Bräuche in diesen Kontext gestellt. „Hinter jedem Hahn auf dem Misthaufen hat man eine germanische Gottheit vermutet“, so Schneider. „Das ist bis heute kaum aus den Köpfen zu bekommen.“ Wissenschaftlich gebe es keinerlei Belege zu einer Kontinuität zwischen heidnischen und heutigen Bräuchen.
Belegt ist nur, dass die sogenannten Klöpfelnachtbräuche, zu denen das Klöckeln gehört, bis in die Mitte des 15. Jahrhunderts zurückreichen und im ganzen süddeutschen Raum verbreitet waren, sagt Thomas Nußbaumer. „Und sie haben sich immer wieder verändert.“ Die wilden Klöckler-Masken aus Fell und Baumflechten mit den roten Stoffnasen seien eher neueren Datums. „Die Klöckler gingen früher ganz in Weiß und hatten nur rußgeschwärzte Gesichter, das Zussl-Weibele war ganz in Stroh gekleidet.“ Ein Reporter der Berliner Woche war 1907 jedenfalls sehr belustigt über das für ihn exotische Spektakel: „Dort pflegen sich zu Neujahr die Glöckelsänger zu versammeln (…), einer von ihnen in Stroh eingehüllt, wie ein afrikanischer Duc-Duc-Tänzer.“ Der sei „der ulkigste Spaßmacher“, während des Ständchens liege er immer „mit dem Bauch auf der Erde“.
Den Klöcklern um Günther und Klaus sind solche historischen Feinheiten ziemlich egal. Bei minus 11 Grad stolpern sie an den steilen, verschneiten Hängen von Hof zu Hof. „Wir wollen einfach nur den alten Brauch aufrecht erhalten“, sagt Günther, „und natürlich unseren Spaß haben“. Dazu tragen beträchtlich der Glühwein und die Schnäpse bei, die sie an jedem Hof trinken müssen. Sie singen die beiden Lieder in dieser Nacht elf Mal. Es ist eine einfache, warme Melodie mit ziemlich langen Strophen, im starken Sarntaler Dialekt. Das Dankeslied scheint der Kutt dabei mehr Spaß zu machen als das mit Heiligen und Propheten gespickte Klöckellied. Man wünscht etwa dem „Hausvater“ eine „Kanne voll roten Wein“, den ihm die „Hausmutter“ einzuschenken hat. Sie selbst erhält nichts Weltliches, ihr wird ein goldenen Wagen gewünscht, der sie „fröhlich in den Himmel“ trage. Am Ende nimmt man singend „Urlaub von der Haustür“ und wünscht eine „glückselige gute Nacht“ und ein „freudenreiches neues Jahr“.
Wie alt die beiden Lieder sind, die die Klöckler singen, darüber hat Volksmusikexperte Nußbaumer nur eine auf Indizien gestützte Vermutung. Sie könnten aus dem „Volksbarock“ stammen. Das war die Zeit zwischen 17. und 18. Jahrhundert, als Orden wie die Jesuiten in einer zweiten Welle der Gegenreformation die Alpenländer neu missionierten. Es ging dabei nicht nur um den Kampf gegen „die Lutherischen“, sondern auch um Bildung und Disziplinierung der abergläubischen Bevölkerung. „Es könnte sein, dass bestehende, derbere Klöckel-Lieder von Geistlichen in bewusst volksnaher Sprache umgeschrieben wurden“, so Nussbaumer.
Nach dem elften Auftritt, nach elf Mal Glühwein trinken und elf Schnäpsen für das Zussl-Paar, das erstaunlicherweise noch gerade gehen kann, öffnet sich beim letzten Hof die Tür. Diesmal dürfen alle durchgefrorenen Klöckler in eine mit Holzofen beheizte Werkstatt, die Masken werden abgenommen. Es ist gleich Mitternacht und es ist Zeit zum „Feierabend-Lassen“, dem Höhepunkt jedes Klöckelabends. Vorher beim Bauern bestellt, gibt es nun an langen Tischen heiße Suppe, danach Würste und Schweinefleisch mit Knödel. „Langsam tauen meine Füße auf“, sagt Klaus, der den ganzen Abend in kurzen Hosen und glatten Trachtenschuhen durch den Schnee geschlittert ist. „Das Feierabend-Lassen“, sagt Günther, der ohne Maske in seinem Dirndl wie ein Travestiekünstler aussieht, „ist der einzige Teil des Brauchs, bei dem Frauen zugelassen sind“. In jüngeren Jahren seien deshalb ihre Freundinnen zum Feiern gekommen. „Aber die müssen jetzt auf unsere Kinder aufpassen.“ Der Stimmung tut dies keinen Abbruch, es wird zur Zieharmonika gesungen und irgendwann sind dann doch ein paar junge Frauen da, die tanzen wollen.
Das Zussl-Paar ist erschöpft, aber zufrieden mit dem Abend. Zwar hat der Lottersackträger bei weitem nicht so viel Geld gesammelt, wie früher im Dorf, wo an einem Abend durchaus mal 1000 Euro in der zerbeulten Milchkanne waren. Damit wird die Zeche hier beim Bauern gezahlt. Doch um Geld geht es ihnen nicht. Denn die Klöckler, die früher Knechte und Hirten waren, sind heute Immobilienmakler, Banker oder Hotelier, sie tragen das i-Phone auf stumm geschaltet in der alten Strickjacke umher. „Nächstes Jahr gehen wir auf die entlegensten Höfe in Durnholz, das wird die ultimative Herausforderung!“, sagt Günther. In ein paar Stunden wird er wieder am Bankschalter stehen. Und keiner, nun ja, fast keiner, wird ahnen, dass er vergangene Nacht das Zussl-Weibele war. (erschienen in National Geographic Deutschland/Dez. 2013)